Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Kaiser und Kind
Weihnachten 2005

 

1. An unseren Krippen stehen die Menschen, die in der Weihnachtsgeschichte vorkommen: Maria und Josef, die Hirten, die drei Weisen aus dem Morgenland. Zwei Personen fehlen allerdings, niemand käme auf die Idee, sie hier bildlich darzustellen: der eine ist König Herodes, der ein paar Tage später den Kindermord in Betlehem befehlen wird. Und der andere ist Kaiser Augustus. Der Herrscher im fernen Rom, der mit seiner Volkszählung manches in Bewegung bringt.

Über Augustus wissen wir eine ganze Menge. Eigentlich hieß er Oktavian, Augustus ist nur sein Beiname, den er später bekam und was soviel heißt wie: der Erhabene.

Zeitgenossen schildern Augustus als Mensch mit zwei verschiedenen Persönlichkeiten. Auf dem Weg an die Macht war er ehrgeizig und gelegentlich grausam. Oben auf der höchsten Ebene der Macht angekommen entpuppte er sich als kluger Staatsmann, der das riesige römische Reich nach langen Bürgerkriegen befriedete. 40 Jahre sollte Augustus an der Macht bleiben, eine lange Zeit des Friedens brach mit seiner Machtübernahme im Jahr 27 v. Chr. an, eine Zeit, die zurückblickend mit den Worten "pax romana", römischer Frieden bezeichnet wurde. Sicher eine Verklärung, aber wie sooft mit vielen Körnern Wahrheit. Denn die Zeit des Friedens brachte auch Wohlstand mit sich, so wandelte sich Rom in dieser Zeit von einer Stadt der Ziegel zu einer Stadt des Marmors.

Auch wenn manches in den Quellen aus jener Zeit nicht ganz deutlich wird, so gehörte auch die Neuordnung des Steuerwesens mit zu den Dingen, die Augustus auf den Weg brachte. Dazu veranstaltete er Volkszählungen zumindest in den Provinzen. Sie dienten zur Erfassung der Bevölkerung und zur Erstellung der Steuerlisten. Die weitläufige Erhebung von Steuern diente auch dem Ausbau des Militärapparates. Denn ohne diesen ging es auch bei Augustus nicht, kein anderer Kaiser vor ihm hat die Grenzen des Reiches so weit nach außen vergrößert wie Augustus.

Insgesamt schildern die Zeitgenossen Augustus als Kaiser eher positiv, wir würden sagen: liberal in vielen Aspekten, auch in religiöser Hinsicht: so untersagte er die religiöse Verehrung seiner eigenen Person als Gott, wie es noch unter seinem Adoptivvater Cäsar üblich.

Eigentlich doch ein eher sympathischer Herrscher, verglichen z.B. mit dem brutalen Kindesmörder Herodes.

Aber der Schein trügt. Denn auch innenpolitisch eher friedlich gesinnte Kaiser regierte auf massive Weise ins Leben seiner Untertanen hinein, wie die Weihnachtsgeschichte deutlich macht:

Es ging ein Gebot von dem Kaiser Augustus aus, dass alle Welt sich schätzen lassen müsse... Und so machten sich auch auf Josef und Maria...

Wie kleine Figuren auf dem Schachbrett werden sie hin und her geschoben. Der Kaiser befiehlt, also müssen wir gehen. Es wird nicht gefragt, ob wir wollen, ob uns das gerade passt - Maria war immerhin hochschwanger! Das Risiko menschlicher finanzieller Verluste wird in Kauf genommen, wenn es dem Staat, dem Kaiser, seinen Plänen und Finanzen nützt. Und überhaupt, wer an der Spitze steht und das Ganze im Auge haben muss, kann nicht auf Einzelschicksale Rücksicht nehmen.

Wie mag das auf die Menschen gewirkt haben? Welche Gefühle werden sie bestimmt haben? Ohnmacht, Wut, Zorn? Resignation, Hilflosigkeit, Ausgeliefert sein? Zappelnde Marionetten an langen Fäden zu sein, Fäden die bis ins ferne Rom reichen?

2. Liebe Gemeinde, dieses Bild von Menschen, die da von einem Machthaber mit einem Federstrich kreuz und quer durch das römische Reich geschickt werden, hatte ich plötzlich vor Augen, als ich die vielen Zeitungsartikel in diesem Herbst las, die sich mit der zunehmenden sozialen Kälte befassen, mit der unglaublichen Macht des Geldes, mit dem unheimlichen Zusammenhang von Gewinnen an der Börse durch den Abbau von Arbeitsplätzen. Ob uns das gefällt oder nicht: die Angst vor dem sozialen Abstieg erfasst immer mehr Menschen, die das Gefühl haben, nur noch Marionetten zu sein. Junge Menschen machen auf dem Arbeitsmarkt dei Erfahrung, schlicht und ergreifend nicht gebraucht zu werden, eine Situation, die es so wohl noch nicht gegeben hat, weil die Jugend doch immer die Zukunft der Gesellschaft war. Ähnliches gilt für die über 50jährigen: auch sie fallen aus dem Arbeitsmarkt heraus, immer weniger Menschen werden in Deutschland in diesem System von Erwerbstätigkeit gebraucht... Und das, obwohl genügend sinnvolle Arbeit da wäre... Eine völlig paradoxe Situation, die aber jeden Abend zehn vor acht im Ersten bestätigt wird: Gewinne an der Börse durch Arbeitsplatzabbau. Und die Liste der Firmen wird immer länger: Telekom, AEG, Siemens, Mercedes... Und in Strudel des Personalabbaus geraten auch Bund, Länder und Kommunen, leider auch die Kirchen... Ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Hilflosigkeit hinterlassen diese Nachrichten nicht nur bei denen, die es trifft, sondern auch bei den anderen. Und auch der sich abzeichnende Konjunkturaufschwung schafft nur leicht glänzende Augen bei den Unternehmen und denen, die dort noch Arbeit haben, für die große Zahl, derer, die draußen stehen, gibt es leider keine Hoffnung auf neue Arbeitsplätze... Vertraute Zusammenhänge von Arbeit und Lebensunterhalt scheinen aus den Fugen geraten zu sein...

3. Halten wir einen Moment inne und fragen uns: Was ist es eigentlich, was daran unseren Widerwillen, unseren Zorn erregt? Spontan würden wir wohl sagen: das kann doch einfach nicht wahr sein! Denken wir etwas drüber nach, sagen vielleicht: es ist ungerecht, es ist unfair.

Ja.

Doch was hat das ganze mit der Weihnachtsbotschaft zu tun? Heute ist schließlich Heilig Abend und wir sind hier in der Kirche und nicht in einer Vorlesung über Sinn, Zweck und Hintergründe moderner Wirtschaftspraktiken. Und dann habe ich angefangen doch mit dem Kaiser Augustus. Wie geht das alles zusammen?

Liebe Gemeinde, das hängt ganz eng zusammen. Und es läßt sich in einem Wort zusammenführen. Dieses Wort lautet: Menschenwürde.

- Schlimm ist, dass sich das wirtschaftliche System mehr und mehr selbst erhält. Es braucht keine Menschen mehr, oder zumindest nicht so viele. Es dient vielfach nicht den Menschen, sondern die Gewinne zählen allein. In der Bibel wird vom Götzen Geld geredet. Ich zögere, diesen Begriff vorschnell in den Mund zu nehmen. Denn Geld brauchen wir und wir brauchen Wirtschaft. Aber sie muss den Menschen dienen, nicht zum Selbstzweck werden. Das scheint mir derzeit gefährdet an vielen Stellen gefährdet (auch wenn es sehr positive Ausnahmen gibt, die ja auch zeigen dass es anders gehen kann!). Und deshalb glaube ich, dass hier zu Recht von einem Götzen geredet werden kann, ja muss.

- Und unser Unbehagen, unser Widerwille unser Zorn entsteht genau dadurch, dass wir Gefühl haben, hier wird unsere Menschenwürde mit Füßen getreten. Wobei - und das ist das Problem - das zerstörerische System keine Gesichter kennt. Managerinnen und Manager entscheiden irgendwo auf der Welt und es hat Auswirkungen bei uns. Auf wen soll sich der Protest richten? Und so sind wir froh, wenn es denn den einen oder anderen gibt, der sich öffentlich hinstellt und mit breiter Brust diese Vorgehensweisen und den persönlichen Vorteil, den er daraus zieht verteidigt - so wie Hans-Josef Ackermann in seinem Prozess. umso größer die Schadenfreude oder auch stille Genugtuung der letzten Tage, als sein Freispruch aufgehoben wurde. In diesen Zeiten fühlen sich manche Menschen sich wie hilflose Marionetten, wie Schachfiguren, die auf dem Brett hin und hergeschoben werden zu irgendwelchen Zwecken eines Geschehens, über das sie aber nicht mit entscheiden können. Das ist heute genauso wie vor zweitausend Jahren.

- Mit der Weihnachtsbotschaft hat dies genau deswegen etwas zu tun, weil Jesus zu den Menschen kam, um ihnen ihre Würde zurück zu geben. Das fängt in der Weihnachtsgeschichte an, als die Hirten die ersten sind, die die frohe Botschaft hören und sie gemeinsam mit den Weisen, den hohen Herren vor der Krippe knien. Und es setzt sich fort in den vielen Gesprächen und Begegnungen mit Menschen am Rand der Gesellschaft. Du bist wertvoll. Du bist geliebt von Gott. Du wirst gebraucht. Das sagte Jesus nicht nur, er praktizierte es. Tag für Tag, Woche für Woche, In Wort und Tat. Gefallen hat es den Mächtigen damals auch nicht. schon der König Herodes fürchtete um seine Macht und ordnete den Kindermord von Betlehem an und so ging das weiter, bis zum Tod am Kreuz. Aber den anderen, die sich herumgeschubst fühlten, denen tat das richtig gut.

Drei Dinge sind mir daran wichtig:

- zum einen: wer sich für die Würde und den Wert der Menschen einsetzt, muss mit Gegenwind rechnen. Damals wie heute. Obwohl dies nicht nur zentrale Botschaft von Weihnachten ist, sondern auch im Grundgesetz steht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Eigentlich unglaublich, aber es gibt Menschen und Strukturen, denen die Würde anderer Menschen egal ist.

- zum zweiten: es gibt leider keine Garantie dafür, dass es denjenigen, die sich an der biblischen Botschaft orientieren besser geht in dieser Welt und ihre Würde auf wunderbare Weise vom Himmel fallend wieder hergestellt wird. Schön wär´s, aber so ist leider nicht.

- und das dritte und wichtigste: nehmen wir die Weihnachtsbotschaft ernst, gibt es dennoch keinen Grund zur Resignation. Ja, die Mächtigen regieren, damals wie heute. Und schieben Menschen nach Belieben hin und her, o ja. Aber wenn Gott mir Wert zuspricht und ich so meine Würde erhalten, dann bin ich nicht handlungsunfähig.

4. Liebe Gemeinde, vielleicht tragen die Ereignisse des letztes Jahres ja dazu bei, dass uns die Brüchigkeit unseres Lebens neu und anders bewusst geworden ist. Natürlich: persönliche Katastrophen hat es immer gegeben, und vor denen war niemand sicher. Und das es auch gesellschaftlich nicht immer nur aufwärts geht, das wissen vor allem die Älteren unter Ihnen, die Krieg und die Zeit danach miterlebt haben. Aber in unserem Land hatten wir doch über viele Jahre das Gefühl, so wirklich Schlimmes könne uns in Deutschland doch nicht passieren. Vor allem bei den eher Jüngeren, die eben die fruchtbaren Jahre um den 2. Weltkrieg nicht mit erlebt haben. Mein Eindruck ist: erst die Reformversuche diesen Jahres, die sich mit dem Stichwort "Hartz IV" verbinden, haben vielen deutlich gemacht, dass es nicht einfach immer so weiter geht. Und in vielen Gesprächen in den letzten Monaten wurde mir das auch hier in Voerde sehr deutlich gesagt: Ja, ich habe auf einmal Angst vor einem drastischen sozialen Abstieg, sollte ich meinen Arbeitsplatz verlieren. Auf der anderen Seite regen sich neue Gedanken, Gefühle, Ahnungen. Die Diskussion um Herrn Ackermann und die Merkwürdigkeiten des Aktienmarktes führen dazu, dass scheinbare Zwangsläufigkeiten der Wirtschaft in Frage gestellt werden. Oder: Im "STERN" war eine große Serie über Werte. Da regt sich hier und da auch was. Und es gibt auch positive Beispiele, die zeigen, es geht auch anders, die machen Mut. Die NRZ hat sich ja heute eine Ausgabe vorgenommen.

Und da gibt es dann auch so paradoxe Geschichten. Gerade die zu Recht an vielen Stellen gescholtenen Ein-Euro-Jobs waren und sind doch auch für den einen oder die andere ein Stück Wiedergewinnung von Menschenwürde. Sie sagen: der eine Euro ist gar nicht so wichtig. Aber ich habe endlich wieder was zu tun, ich werde gebraucht!

Liebe Gemeinde, mit all diesen gemischten Gefühlen feiern wir Weihnachten. Vielleicht sind wir in diesem Jahr damit ein wenig näher dran an Maria und Josef, den Hirten und vielen anderen, die vor 2000 Jahren lebten und deren Leben unter viel unwägbareren Vorzeichen verlief als das unsere. Und so wird uns vielleicht stärker als in anderen Jahren die froh und mutmachende Botschaft des Engels bewusst, wenn er uns allen zuruft: Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus! Und das gibt uns Menschen, uns allen Wert und Würde. Deshalb dürfen wir auch feiern, denn das ist doch ein Anlass zu großer Freude. Jesus hat die Liebe Gottes auch immer wieder zum Anlass genommen zu feiern. So gerne und so gut, dass seine Gegner ihn als Fresser und Weinsäufer beschimpften. Er hätte auch sagen können: die Welt ist schlecht genug, lasst das feiern und gebt das Geld den Armen. Aber das hat er nicht gesagt, weil er wusste, feiern gehört genauso zum Leben wie arbeiten. Diese gute Botschaft feiern, das können wir an Weihnachten Und sich dafür einzusetzen, dass sie in Wort und Tat weiter gegeben wird, das ist die Aufgabe von uns allen, Christinnen und Christen, der Kirche als ganzer, Tag für Tag, da wo wir stehen. Das ist die Botschaft von Weihnachten: Gott kommt zu uns, sagt: du bist wertvoll, du hast eine Würde, die dir keiner nehmen soll, weil ich sie dir gebe. Und lädt uns ein, davon weiter zu geben. Und das können wir alle, dazu müssen wir nicht Manager oder Politiker sein.

Amen.